Neben den kulturhistorisch, naturkundlich und verkehrstechnisch spannenden Facetten des Hönnetals gibt es auch eine Schattenseite: Den Missbrauch zu Rüstungszwecken in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Hönnetal bei Oberrödinghausen durchziehen riesige Stollensysteme, die im zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten als Untertage-Fabrik angelegt wurden, mit dem Ziel, Hydrieranlagen für die Erzeugung von Flugbenzin zu schaffen.

Dieses Projekt war hoch geheim und galt in besonderem Maße als “kriegswichtig”. Wegen der enormen Dimensionen war eine vollständige Geheimhaltung naturgemäß nicht möglich. Viele Einheimische werden dennoch nur bruchstückhaft und gerüchteweise davon erfahren haben.

Über die konkret erlebten Auswirkungen des Nationalsozialismus auf das religiöse und gesellschaftliche Leben in Balve berichtet Joseph Lenze in seinem Buch: 80 Jahre Musikverein – ein Kapitel Balver Geschichte anschaulich aus Presseartikeln dieser Zeit. Das Kap. III. “In der Zeit der Bedrängnis” wird in Auszügen wiedergegeben.

Flugbenzin aus Schwalbe 1
In den letzten Kriegsjahren wurde in den Steinbrüchen der Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke (RWK) das geheime Rüstungsprojekt “Schwalbe I” der Organisation Todt mit mehr als 10.000 Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen betrieben (siehe: Vergessene Nazi-Tunnelanlage). Die massiven Stollen dieses riesigen Stollensystems sind weitgehend erhalten, aber verschlossen. Führungen in das Stollensystem werden bislang nicht regelmäßig angeboten, sind aber möglich.

Bei “Schwalbe I” handelt sich um ein Bauprojekt der sog. Untertage-Verlagerung des “Dritten Reiches”. Die Anlage mit dem Decknamen „Eisenkies“ (der Mineralname war Kennung für das Stollensystem) war kurz vor Kriegsende eines der größten nationalsozialistischen Rüstungsprojekte. Viele renommierte Firmen waren an dem Projekt beteiligt. Das Projekt stand kriegsbedingt unter höchstem Zeitdruck. Ab Mitte 1944 wurden mehr als 10 000 Menschen verschiedenster Nationalitäten – Fachkräfte, Arbeiter, Zwangsarbeiter, Gefangene, KZ-Häftlinge – zu schwerster Arbeit in den sog. “AEL” (Arbeitserziehungslagern) herangezogen. Untergebracht waren die Menschen in ca. 15 Lagern im Hönnetal, von Balve Helle (H. Polenz: Müdes Schlurfen hunderter Füße. In: Zur Geschichte des  ehem. Amtes und der Stadt Balve” 1980, Seite 333-337) über Sanssouci, Lendringsen (Biebertal) bis Fröndenberg. Zuständig für die Organisation der Zwangsarbeit war Gestapo-Mann Karl Gertenbach, Kriminalobersekretär aus Lüdenscheid. Er nahm sich am 15. Mai 1945 in der Haft das Leben.

Viele Zwangsarbeiter wurden getötet, verhungerten oder starben durch Unfälle. Meldungen an das Standesamt Balve (stets mit der gefälschten Diagnose “Herzmuskellähmung”) unterblieben ab dem Jahreswechsel 44/45.

Die korrekte Diagnose (Hungertod) hat der Arnsberger Medizinalrat Josef Mahr in einem ungeschminkten Bericht über die tatsächlichen Verhältnisse in Sanssouci am 9.1.1945 an den Gauleiter benannt. Dieser Bericht zeugt von persönlichem Mut und großer Zivilcourage (näheres dazu in: “Das Arbeitserziehungslager Hönnetal in Sanssouci” von Peter Witte (1985). In: 750 Jahre Beckum. Die Geschichte eines Dorfes im Sauerland, p. 219 ff).

Auszüge aus dem Bericht: “Das Lager befindet sich in Baracken, die in dem am Bahnhof Sanssouci im Amt Balve gelegenen Steinbruch erstellt sind. Diese Personen arbeiten im Hönnetal und werden täglich mit der Hönnetalbahn, nicht getrennt von deutschen Volksgenossen, zu ihren Arbeitsplätzen transportiert. Die Unterbringung der Ostarbeiter ist eine äußerst primitive. Sämtliche Räume sind überbelegt; die Leute liegen, wie das Lagerpersonal sich selbst ausdrückte, “wie die Heringe” (handschriftliche Eintragung: Alle verlaust, Fleckfiebergefahr). Von den 400 Lagerinsassen waren am Besichtigungstage 115 krank … Hungerödeme … ein Teil von ihnen dürfte in der nächsten Zeit sterben“.

Die US-Army besetzte am 12. und 13. April 1945 Balve und das Hönnetal und befreite die noch Lebenden. Von 15. April bis Ende Juni kam es immer wieder zu Überfällen durch ehemalige Gefangene, mit einzelnen Toten. Ende Juni nahmen die Überfälle ab, da nun die britischen Besatzungsbehörden Maßnahmen dagegen ergriffen.

Tote aus ganz Europa sind auf dem Friedhof Lendringsen begraben. Einige Opfer aus westeuropäischen Ländern wurden nach dem Krieg in ihre Heimat überführt. Ein Denkmal auf dem Friedhof Lendringsen nennt 132 Namen, darunter 41 Deutsche. Die tatsächliche Zahl der Opfer dürfte um ein Vielfaches höher liegen, genaue Zahlen sind unbekannt.

Bis heute findet sich im Hönnetal, mit Ausnahme der – von Polen gestifteten – Ehrengrabstätte auf dem Friedhof Lendringsen und einer Gedenktafel auf dem für die Öffentlichkeit unzugänglichen Polizeigelände, kein öffentlicher Hinweis auf das Rüstungsprojekt und keine Erinnerungsstätte an die Opfer.

Die Anlage Schwalbe I steht nicht unter Denkmalschutz.