Sehr verehrter Herr Laumann,

das Land Nordrhein-Westfalen will das Rohstofflager des Hönnetals weiter ausbeuten und nimmt damit die dauerhafte Zerstörung einer bedeutenden Natur- und Kulturlandschaft in NRW billigend in Kauf. Die Vorkommen an Festgestein sollen gemäß Vorgaben des Landesentwicklungsplans 2017 für weitere 35 Jahre ausgewiesen werden. Dies soll im neuen Regionalplan umgesetzt werden, für den derzeit das sogenannte Beteiligungsverfahren läuft. Der geplante Kalkabbau betrifft das Hönnetal, dessen bereits gigantische Landschaftszerstörung weiter voran getrieben werden soll.

Bei der Begehung der Lehrwerkstatt im Lhoist-Werk am 25.09.2020 äußerten Sie laut Zeitungsbericht: „Die Landesregierung steht der Steinbrucherweiterung optimistisch gegenüber“ und „Wir brauchen diesen hier gewonnenen Rohstoff für Düngekalk, und um unsere Häuser zu bauen“. Dazu gehöre die Nutzung von Liegestätten. Sollte dieses aus welchen Gründen auch immer nicht möglich sein, erfolge der Abbau in anderen Regionen. Laumann: „Abgebaut werden aber muss der Kalk.“

Damit ist die Richtung klar: Abgebaut wird der Karstzug nach Auffassung der Landesregierung so oder so – wenn nicht im Eisborner Beil, dann eben im Beckumer Feld oder notfalls auf der Klusensteiner Hochfläche. Im Hönnetal sollen auch noch große „Reservegebiete“ ausgewiesen werden, um die Nutzung der Liegestätten „für spätere Generationen offenzuhalten“. Eine klare Entscheidung gegen den Umweltschutz und zukünftige Generationen.

Dagegen erheben wir Einspruch. Wir fordern die Schließung des Abbaugebietes Hönnetal. Nach mehr als hundertjähriger Ausbeutung der Kalkaufkommen des Hönnetals ist das Maß voll. Das Land NRW muss dem Raubbau an dieser Kulturlandschaft endlich Einhalt gebieten und sie einschließlich ihrer Hochflächen wirksam schützen.

Der Kalktagebau ist irreversibel

Landschaftseingriffe durch Steinbrüche sind endgültig. Von einer Renaturierung der Kalksteinbrüche zu sprechen ist unseriös, eine Mogelpackung. Die Landschaftszerstörung bleibt sichtbar, für immer.

Eine Millionen Jahre alte Kulturlandschaft wird hier zerstört, zu Lasten aller nachfolgenden Generationen. Während andere Landschaftseingriffe rückgängig gemacht oder zumindest geheilt werden können – Windräder können zurückgebaut, Gewerbegebiete und Straßen entsiegelt werden, selbst Atom-Endlager haben Halbwertzeiten – sind die Landschaftseingriffe durch Steinbrüche nicht heilbar.

Die vor 100 Jahren im Rahmen der „Schutzaktion“ gesicherten Felskulissen bilden eine Einheit mit den umliegenden Höhenzügen. Die verbliebenen Landschaftsteile müssen komplett geschützt werden, im Verbund mit bereits ausgewiesenen Schutzgebieten. Dem Landschaftsschutz kommt im Hönnetal überragende Bedeutung zu.

Der Kalktagebau ist für den Naturschutz kontraproduktiv

Die Folgen des Tagebaus im Karst des Hönnetals lassen sich nicht abschätzen. Für den Grundwasserspiegel und den Trinkwasserhaushalt sind gravierende Auswirkungen zu erwarten.

Eine Erweiterung des Steinbruchs Asbeck Richtung Süden führt zu weiteren „Kulissen“ mit der Gefahr der Austrocknung der Felsformationen. Dies wirkt sich nachteilig für die geschützten Biotope aus.

Im Fall einer Erweiterung des Steinbruchs Beckum nach Norden wird das Hönnetal mit seinen Ortschaften durch bis zu 200 LKW-Schwertransporte pro Tag belastet. Die Bundesstraße B515 würde so zur Werkstraße für die Kalkproduktion der Lhoist-Gruppe.

Zudem würde ein nach §39 Abs. 2 LNatSchG geschützter Landschaftsbestandteil, die über 300 Meter lange sogenannte „Graubner-Hecke“ im Beckumer Feld, mittelfristig zerstört und eine international bedeutsame Fundstelle aus der Kreidezeit gefährdet (Dinosaurier-Forschung).

Der Kalktagebau behindert die zukünftige Entwicklung der Region

Die Ausbeutung der Rohstofflager des Hönnetals ist ohnehin zeitlich begrenzt. Für die Arbeitsplätze und die Wirtschaftsleistung der Region ist der Kalkabbau nicht nachhaltig. Nach dem Ende des Rohstoffnutzung gibt es keine Arbeitsplätze mehr, nur zerstörte Landschaft.

Die mit dem Tourismus in der Region verbundenen Arbeitsplätze werden schon jetzt durch die laufenden Eingriffe gefährdet (Beispiel Eisborn). Mit fortschreitender Zerstörung der Landschaft wird die Strahlkraft des mittleren Hönnetals für die touristische Entwicklung – in direkter Nachbarschaft zum Ruhrgebiet – massiv beeinträchtigt.

Die sinnvollen Maßnahmen der letzten Jahrzehnte Rettung der Felskulissen, Denkmalschutz, Natura2000 – konnten nicht verhindern, dass das Landschaftsbild des Hönnetals extrem gelitten hat. Die Verkehrsbelastung (Bundesstraße), Vandalismus und Landschaftseingriffe durch Industrie und Gewerbe haben ihren Teil dazu beigetragen. Die Belastungsgrenze ist längst überschritten.

Will die NRW-Landesregierung das Schicksal des Neandertals wiederholen?

Das Hönnetal mit seinen zahlreichen Höhlen und den darin enthaltenen prähistorischen Funden von Neandertalern und Homo Sapiens ist eines der paläontologisch bedeutendsten Täler Deutschlands. Allein die Balver Höhle enthielt über 90.000 Artefakte. Weitere Höhlen enthielten ebenfalls zahlreiche Funde. Die meisten Höhlen sind noch vorhanden, so wie die Felsen und die Landschaft um das Hönnetal herum.

Dies ist der Unterschied zum ehemals zauberhaften Neandertal, das vollständig durch industriellen Kalkabbau vernichtet wurde. Auch andere Karstgebiete in NRW wurden sinnlos zerstört, weil sie von der Politik nicht wirksam geschützt wurden.

Noch ist das Hönnetal weitgehend intakt, noch sind auf den Hochflächen weitere Funde zu erwarten. Diese gilt es zu schützen und der Nachwelt zu bewahren. Nur im großen Zusammenhang sind die Funde wirklich etwas wert und liefern uns wertvolle Informationen zu unserer Geschichte.

Abgebaut werden aber muss der Kalk“

Die geeigneten Kalklagerstätten sind begrenzt, wie alle fossilen Rohstoffe. Der Abbau muss enden und wir müssen endlich begreifen, dass es ein “weiter so” nicht geben kann und darf. Kalk ist in Form der Zementproduktion einer der weltweit größten Klimakiller. Wir befinden uns wenige Sekunden vor 12, der Klimawandel erreicht einen Punkt, an dem er nicht mehr verhinderbar ist.

Wir müssen jetzt den Raubbau an der Natur stoppen, hin zu einer nachhaltigen und wirklichen Klimaneutralität (keine vorgetäuschte oder erkaufte). Die sogenannte Wertstoffkette hatte von Anfang an ein Problem: Sie ist endlich. Wir müssen hier und heute dafür Sorge tragen, dass aus der Kette ein Kreislauf wird, durch sinnvolle und vollständige Wiederverwertung sämtlicher genutzter Ressourcen.

Fazit

Das Hönnetal mit seinen umgebenden Karstzügen ist nicht nur eine bedeutende Kulturlandschaft, sondern de facto ein „landesbedeutsamer Kulturlandschaftsbereich“ im Sinne des Landesentwicklungsplans. Es sollte auch als solcher eingestuft und behandelt werden (Anlage 2 LEP). Die einschlägigen fachlichen Empfehlungen sollten dahingehend überprüft und neu bewertet werden. 1

Dafür spricht die reiche Fundlandschaft für alle Perioden der Menschheitsgeschichte, aber auch die Bedeutung der geschützten Fauna und Flora und die Fülle der historischen Bezüge von der Eisenzeit bis zur NS-Zeit. Nur als Beispiele unter vielen seien die bekannte Balver Höhle und die Luisenhütte genannt, letztere ein Industriedenkmal von nationaler Bedeutung im zukünftigen „Geschichtspark Balve“, der aktuell vom Land NRW – Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung – mit ca. 1 Mio € gefördert wird.2

Das Karstgebiet des Hönnetals bietet mit Höhlen und Burg ein faszinierendes Landschaftsbild, und wegen seiner archäologischen und kulturellen Vielfalt vom Mittelalter bis zur Neuzeit touristische Highlights der Superlative. Es bietet eine aufregende Geschichte, die erst in Ansätzen erzählt ist. Für den Tagestourismus bietet es ein großes Potential, das neu erschlossen werden kann. Dieses Potential ist in jeder Hinsicht ausbaufähig – naturschonend und nachhaltig.

Im Interesse der Region und zum Schutz der Heimat müssen die laufenden Pläne zur dauerhaften Zerstörung der Landschaft durch das Land NRW gestoppt und der industrielle Kalkabbau im Hönnetal beendet werden.

Naturhistorischer Verein Hönnetal e.V.

Der Vorstand

Andreas Kolarik, 1. Vorsitzender

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PS: Zum näheren Verständnis der Hintergründe fügen wir postalisch ein Exemplar unserer letztjährigen Veröffentlichung „100 Jahre Schutzaktion. Die Rettung der Schönheit des Hönnetals“ bei, mit Bitte um wohlwollende Kenntnisnahme.

Kopie: Ministerin Ina Scharrenbach, Heimatministerium NRW

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1„Unter den globalen Nivellierungstendenzen bei Städtebau, Architektur und Lebensstil, sind die gewachsenen individuellen Kulturlandschaften wichtig für die Verankerung der regionalen Identität und die Verbundenheit mit der Heimat“. „Im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen mit seinem dementsprechend starken Veränderungsdruck muss der bewussten Kulturlandschaftsentwicklung und der Erhaltung landschaftlicher Zeugnisse der Kultur­geschichte bei heutigen und künftigen Ansprüchen an den Raum besondere Aufmerksamkeit zukommen. Dabei geht es nicht nur um die Sicherung raumbedeutsamer schutzwürdiger Kulturgüter und ihrer Umgebung. Es geht vielmehr um einen querschnittorientierten und ganzheitlichen Betrachtungsansatz auf allen Planungsebenen, der vor allem die identitätsstiftenden und imagebildenden Eigenarten der Kulturlandschaften im regionalen Zusammenhang sieht“ (LEP NRW vom 15.12.2016, Kommentar zu Grundsatz 3-1).

2„Die potenzielle Wertschöpfung des historisch gewachsenen kulturellen Erbes liegt in nichtmonetären Voraus­setzungen, die – entsprechend erschlossen – monetäre Potenziale entfalten können. Für einen nachhaltigen sozial-, umwelt- und kulturverträglichen Tourismus ist das regionale kulturelle Erbe ein entscheidender Wertfaktor“. „In ihrer Gesamtheit ist die historische Kulturlandschaft Träger des kulturellen Erbes im landschaftlichen Kontext“. „Der Nachhaltigkeitsgedanke fordert einen bewussten, verantwortungsvollen und schonenden Umgang mit Gütern unterschiedlichster Art unter Einbeziehung der Lebensqualität zukünftiger Generationen. Eines dieser Güter, über die die Gesellschaft verfügt und über dessen Wahrung für künftige Generationen oder über dessen immer irreversible Zerstörung sie zu entscheiden hat, ist ihr kulturlandschaftliches Erbe“ (aus: K.-D. Kleefeld 2017: Das Thema Kulturlandschaft in Fachbeiträgen für die Landesplanung in Nordrhein-Westfalen und die Regionalplanung im Rheinland).

Offener Brief an Minister Laumann – Balve und Menden 14.04.2021