Am 1. November haben wir der rund 300 Opfer der Hexenverfolgung in Balve vor etwa 400 Jahren gedacht.
Treffpunkt war das Lohgerberhaus mitten in Balve. Hier wurde bereits über die Zustände in den damaligen Zeiten diskutiert und der Bezug bis ins unsere heutige Zeit festgestellt.
Vom Lohgerberhaus aus ging es zu Fuß auf den Galgenberg, wenn möglich auf den alten Wegen, die auch damals genutzt wurden um die vermeintlichen Hexen ihrem Schicksal zuzuführen. An der Hexenstele angekommen, entzündeten wir für jedes Opfer eine Kerze (gar nicht so leicht bei Wind und herabfallenden Tropfen).
Die Hexenstele, gestiftet von der Heimwacht Balve unter ihrem damaligen Vorsitzenden Werner Ahrens, wurde im Jahr 2006 aufgestellt. Der Rat der Stadt Balve hat am 24. Juni 2015 die Opfer der Hexenprozesse in einem symbolischen Akt rehabilitiert.
Es folgte ein Moment des stillen Gedenkens an die grausamen Taten unserer Vorfahren.
Es wurde angemerkt, dass wir in unserer aktuellen Gesellschaft wieder ähnliche Tendenzen feststellen können. Heute wird zwar in Europa niemand mehr auf den Scheiterhaufen geworfen und verbrannt, doch virtuell geschehen genau diese Dinge wieder. Sie heißen nur anders: Shitstorm, Cybermobbing und ähnliches. Wir alle sollten aus den dramatischen Fehlern der Hexenverfolgungen lernen für die heutige Zeit, für ein friedliches und freundliches Miteinander, egal ob real oder virtuell.
Im Anschluss verlas Adalbert Allhoff-Cramer eine Geschichte von Josef Pütter über den Hexenwahn, vorgetragen in feinstem sauerländer Platt.
Wachtloh-Räusen
Op diäm Galgenbiärge löchtern
blaurigräut de Häxenbriänne,
un iähr Schwählen welt’re duister
sik dür’t Land – bit an de Liänne.
Biu en diusendköpp’gen Drachen
kraller’t daip sik in de Heärten;
kräup un släik dür alle Dähler,
sochte jedet Duarp te friätten.
Boise Teyh’n! – De Luie glöfften
all’ an Häxen, unnersöchten,
dai se alltemole rächtens
gnadenläus verbrännen möchten.
Düär de Döärper trock de Fräuhn-Vogt,
laggt’ Verdächtige in Eysen,
un van awegünst’gen Tungen
lait hai sik dai Sliemen weysen.
Niu – te Balwe in deäm Tauern
saten se in Naut un Schmachten;
in deän ollen, kollen Muiern
mochten op’t Gericht se wachten.
Wollen se nit foots bekennen,
halp de Schriuwe, halp de Tange;
un de mäisten biewernd saggten,
wat me woll – se wören bange.
Anneken, deäm Bürgermester
seyne junge, guere Frugge,
Hör dat Stoihnen, Schriggen, Greynen,
Un et lait iähr kaine Rugge.
Häimlick bracht’ se in diän Tauern
Iätten, Drinken, wäiket Linnen,
Duast un Hunger do te stillen,
Folterwunnen te verbinnen.
Hör! – Do puspelern de Luie:
„Keykt mol! – Düese feyne Tünte
is – bey Goatt – de sliemste Häxe
in diär ganzen Kiärspel-Rünte!“
Un bo dann de Bürgermester
mocht no Köln un Arnsbiärg reyhen,
laggte me dai Gure, Laiwe
fix in Eysen un in Keyhen,
Spann’re se op Bank un Folter,
denn se woll jo nit bekennen;
hor de Tuigen – saggt’ dat Urdäil,
un dann soll se footens brännen.
Op ner ollen Holperkarren
häuk se, still, im Hochteydskläide;
un dat Armesünder-Klöcksken
bitter gräin tau all diäm Läide.
Trock dann met diär Iärmsten, hoihnend,
ropper no diär Galgen-Höchten;
brak diän Stecken – un de Henker
iähren stolten Rüggen böchten.
Griusig sius’re dann dai Richtstohl
dür diän stracken Fruggennacken.
„Goatt sey iährer Säile gnädig!“
hor me falsk de Luie lachen.
Bo dai Schinder niu de Leyke
wollen op diän Holtstäut brengen,
do kam äuk de Bürgermester
galoppäiernd an te sprengen.
Vuller Grimm gräip hai no’m Richtschwert,
dräif dai Dullen fut – im Harme –
buchte sik dann still in Trönen,
nahm dai Däue in de Arme.
Mek drop füar seyn guere Annken
in diäm Wachtläuh-Biärg ohn’ Pausen
daip en Graw, un deck’re sachte
seyne Laiw’ op wille Räusen.
Schlaig en Kruisse noch un genk dann
in de Früemde – ungebunnen.
Kainer wusste, bo hai bliewen,
nümmes hiät ne weyerfunnen.
Doch – no langen, langen Johren
kam en Poter, steyf, gebrestet,
wittbörtig, am Stabelstocke;
dai hiät siek am Grawe restet.
Keyk! Do stond dat Graw vull Räusen,
räut ärr Blaut un witt ärr Linnen,
un düt Blöggen in diäm Biarge
well seyt diäm kain Enne finnen.
Säu! Niu wäisst diu, brümm’ de Wachtläuh
is de schönste Räusengoren.
– Iek doch gloiwe, uese Annken
is föer Goatt ne Hill’ge woren.
Übersetzung ins Hochdeutsche:
Auf dem Galgenberge leuchten
blutigrot die Hexenbrände,
und ihr Schwelen wälzte dunkel
sich durchs Land – bis an die Lenne.
Wie ein tausendköpfiger Drache
krallt es tief sich in die Herzen,
kroch und schlich durch alle Täler,
suchte jedes Dorf zu fressen.
Böse Zeit! – Die Leute glaubten
all’ an Hexen, untersuchten,
die sie allzumale rechtens
gnadenlos verbrennen wollten.
Durch die Dörfer zog der Frohn-Vogt,
legt’ Verdächtige in Eisen,
und von missgünst’gen Zungen
ließ er sich die Schlimmen zeigen.
Nun – zu Balve in dem Turme
saßen sie in Not und Schmachten;
in den alten, kalten Mauern
mussten auf’s Gericht sie warten.
Wollten sie nicht gleich bekennen,
half die Schraube, half die Zange;
und die meisten zitternd sagten,
was man wollt’. Sie waren bange.
Anneken, des Bürgermeisters
seine junge, gute Frau,
hört das Stöhnen, Schreien, Weinen,
und es ließ ihr keine Ruhe.
Heimlich brachte sie zum Turm
Essen, Trinken, weißes Leinen,
Durst und Hunger da zu stillen,
Folterwunden zu verbinden.
Hör! – Da flüsterten die Leute:
„Guckt mal! – Dieses feine Dämchen
ist – bei Gott – die schlimmste Hexe
in der ganzen Kirchspiel-Runde!“
Und als dann der Bürgermeister
musst nach Köln und Arnsberg reiten,
legte man die Gute, Liebe
schnell in Eisen und in Ketten,
Spannte sie auf Bank und Folter,
denn sie wollt ja nicht bekennen;
hört die Zeugen – sprach das Urteil
und dann sollt sofort sie brennen.
Auf ’ner alten Holperkarre
hockt sie, still, im Hochzeitskleide;
und das Arme-Sünder-Glöckchen
bitter weint zu all dem Leide.
Zog dann mit der Ärmsten, höhnend,
hoch hinauf zur Galgen-Höhe;
brach den Richtstab – und die Henker
ihren stolzen Rücken beugten.
Grausig sauste dann der Richtstahl
durch den geraden Frauennacken.
„Gott sei ihrer Seele gnädig!“
hört man falsch die Leute lachen.
Als die Schinder nun die Leiche
auf den Holzstoß bringen wollten,
da kam auch der Bürgermeister
galoppierend angeritten.
Voller Wut griff er zum Richtschwert,
trieb die Tollen fort – im Schmerze –
beugte sich dann still in Tränen,
nahm die Tote in die Arme.
Macht drauf für sein gutes Annken
in dem Wachtloh-Berg ohn’ Pausen
tief ein Grab, und deckte sachte
seine Lieb’ auf wilde Rosen.
Schlug ein Kreuze noch und ging dann
in die Fremde – ungebunden.
Keiner wusst, wo er geblieben,
niemand hat ihn wiederfunden.
Doch – nach langen, langen Jahren
kam ein Pater, steif, gebeugt,
weißbärtig, am Wanderstocke;
hat er dort am Grab geruht.
Sieh! Da stand das Grab voll Rosen,
rot wie Blut und weiß wie Leinen,
und dies Blühen in dem Berge
will seitdem kein Ende finden.
So! Nun weißt, warum der Wachtloh
ist der schönste Rosengarten.
Und ich glaube, unser Annken
ist für Gott ne Heilge worden.